gelesen: Lina Gustafsson – Die Schlachthaus-Tagebücher

„Die Schlachthaus-Tagebücher“ von Lina Gustafsson

übersetzt aus dem Schwedischen von Maike Barth
erschienen am 01. März 2021 bei Ullstein extra
240 Seiten

Welches Buch hast du zuletzt gelesen?
Die Schlachthaus-Tagebücher.

Worum geht’s da?
Die Autorin Lina Gustafsson ist Tierärztin und hat sich als Veterinärin bei einem Schlachthof beworben um dort die Tierschutzrichtlinien zu überwachen. Im Buch erzählt sie wie der Ablauf dort ist, was ihre Aufgaben sind und wie sie versucht, etwas zu verändern.

Wie bist du auf dieses Buch gekommen?
Beim Stöbern in einer großen Buchhandelskette ist es mir ins Auge gesprungen. Wegen des Titels und dem Schweinchen auf dem Cover. Ich hab den Klappentext gelesen und fand den Satz „Wer dieses Buch liest, wird nie wieder Fleisch essen!“ ehrlich gesagt so provokant, dass ich es unbedingt lesen wollte. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass ich aufhöre Fleisch zu essen, nur weil ich ein Buch gelesen habe.

Okay, wie war das Buch?
Am Anfang habe ich mich bei jedem Tagebucheintrag gefragt, warum in Gottes Namen, tut sie sich das an? Sie ist Vegetarierin und möchte in einem Schlachthof etwas für den Tierschutz tun – echt jetzt? Das passte für mich einfach nicht zusammen.
Sie tut sich schwer. Sie ist dafür zuständig, die Tierschutzrichtlinien zu überwachen, doch es gibt einen schmalen Grat zwischen „noch im Rahmen des erlaubten“ und „nicht mehr tolerierbar“. Täglich steht sie vor der Frage, ob das, was sie selbst als falsch ansieht, eine Meldung nach sich ziehen muss oder ob sie durch ihre eigenen Ansichten manches zu kritisch beurteilt. Die Kollegen sind nett, auch hilfsbereit. Viele haben resigniert. Hatten andere Träume und sind doch immer noch hier.

„Ich kann nur schwer mitansehen, wenn es den Tieren schlecht geht“, sage ich. „Wie gehst du damit um?“
Sie blickt mich ernst an. „Es ist, wie es ist. Manchmal muss man einfach wegschauen. Und akzeptieren, dass man nicht alles verändern kann.“

„Die Schlachthaus-Tagebücher“ S. 95

Lina bemüht sich. Schreibt Berichte, redet mit den Angestellten um die Verhältnisse zu verbessern. Manchmal gelingt es eine Zeit lang, oft ändert sich nichts. Weil es nicht praktikabel ist. Nicht wirtschaftlich. Mit jedem Tagebucheintrag spürt man als Leser, dass diese Arbeit Lina verändert. Sie möchte so gerne etwas tun, das den Tieren ihren letzten Weg erträglicher macht, ihr wird jedoch immer mehr bewusst, dass das, was sie hier erreichen kann, nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Bis sie schließlich zu dem Punkt kommt, an dem sie einsieht, dass sie nicht bleiben kann. Am Ende wartet auf jedes Tier der Tod.

Es gibt keine Gnade

„Die Schlachthaus-Tagebücher“ S. 147

Und? Wirst du jetzt Vegetarier?
Nein. Ich habe eine Ausbildung zur Landwirtin gemacht. Ich kenne den Ablauf vom Verladen eines Tieres auf den Transport bis zur Schlachtung, denn mein Chef hat es mir damals ermöglicht, einen Schlachthof zu besuchen. Natürlich bin ich mir im Klaren darüber, dass es Probleme und schwarze Schafe in allen Bereichen gibt, aber grundsätzlich gehe ich davon aus, dass diese in der Minderheit sind.

Möchtest du sonst noch etwas zu diesem Buch sagen?

Aber was ist mit all dem, worüber wir nicht sprechen?
Es geht nicht nur um die Schmerzen vor dem Tod. Es geht auch darum, wofür sie stehen: dass uns die Gefühle, die Wünsche, das Leben der Tiere nichts bedeuten.

Die Schlachthaus-Tagebücher S.192

Es ist wichtig, dass wir uns Gedanken machen. Über unseren Fleischkonsum und darüber, was diesem vorgelagert ist. Was möchten wir für uns? Was möchten wir für die Tiere? Und wie passen meine Bedürfnisse bezüglich meines Fleischkonsums zu den Bedürfnissen der Tiere, die ich später auf meinem Teller haben möchte?
Tatsache ist: wenn ich jeden Tag die abgepackte Wurst und das billige Fleisch aus dem Supermarkt esse darf ich nicht erwarten, dass es von einem glücklichen Bioschwein kommt, das jeden Tag von seinem Halter gestreichelt wurde und sich selig in einer Suhle wälzte bevor es einen Tag später völlig unerwartet und deshalb relativ stressfrei zu Leckereien verarbeitet wurde. Genauso wenig muss ich aber alle Fleischesser verteufeln, denn (auch wenn das jetzt etwas flapsig formuliert ist) schon die Steinzeitmenschen haben Mammuts gegessen.
Ich kann mich entscheiden, ob ich viel und billig möchte und dafür in Kauf nehme, dass die Tiere, die dafür sterben müssen eben nicht unter „Idealbedingungen“ aufwachsen, oder ob ich mich entscheide, meinen Fleischkonsum einzuschränken und mir dafür aber das teurere Fleisch direkt vom Produzenten bzw. aus der Metzgerei hole (und nein, damit meine ich nicht die Fleischtheke im Supermarkt).

Jeder muss das für sich entscheiden.

Auf jeden Fall gibt es von mir aber eine ganz große Leseempfehlung. Das Buch gibt einen guten Einblick in den Schlachtbetrieb und regt definitiv zum Nachdenken an.

gelesen: Die Spionin von Imogen Kealey

„Die Spionin“ von Imogen Kealey

erschienen bei Rütten & Loening (18.02.2020)
übersetzt von Gabriele Weber-Jaric
Seiten: 457

Anmerkung: Hinter dem Pseudonym Imogen Kealey stecken Imogen Robertson (eine Autorin historischer Romane) und der Drehbuchautor Darby Kealey. „Die Spionin“ ist ihr erster gemeinsamer Roman. Er beruht auf der wahren Geschichte von Nancy Wake.

Worum geht’s?
Der Roman, der auf einer wahren Geschichte beruht, handelt von Nancy Wake, einer gebürtigen Australierin die über Umwege nach Frankreich kam wo sie ihren Mann Henri kennenlernte und sich nach der Besetzung Frankreichs durch die Nationalsozialisten der Résistance anschloss. Zunächst erledigt sie nur Botengänge und leistet auch (dank ihres erfolgreichen Mannes) finanzielle Unterstützung. Sie hat den Spitznamen „die weiße Maus“ und gehört zu den meistgesuchtesten Personen Frankreichs, wobei die Nazis lange nach einem Mann suchen.
Als ihr Mann verhaftet wird bekommt sie einen Hinweis und flieht nach England, wo sie zur Agentin ausgebildet wird und schließlich als solche nach Frankreich zurückkehrt und als Anführerin der Partisanen gegen die Deutschen kämpft.

Klingt spannend.
Das ist es auch. Schon von den ersten Seiten an spürt man Nancys unbändigen Willen alles zu tun was in ihrer Macht steht, um die Deutschen aufzuhalten. Auch wenn sie anfangs „nur“ Botengänge erledigt, geht sie ein hohes Risiko ein. Ein wenig scheint es, als fühle sie sich durch ihren Status bzw. den ihres Mannes ein Stück weit unbesiegbar, doch spätestens als ihr Mann verhaftet wird, wird klar, wo ihr Schwachpunkt liegt. Aber sie hat einen starken Willen und auch wenn sie Henri aus tiefstem Herzen liebt, so kann sie den Kampf gegen die Nazis nicht aufgeben. Immer wieder gerät sie in Situationen, in denen sie nicht ernst genommen wird, weil sie eine Frau ist, doch davon lässt sie sich nicht aufhalten. Sie erarbeitet sich ihren Respekt, wobei sie oft kompromisslos ist und sich mit ihrem Verhalten zwar ihre Stellung sichert, jedoch nicht unbedingt Sympathiepunkte erwirbt.

Hat sie Erfolg mit ihrer Mission?
Wir wissen alle, wie der zweite Weltkrieg ausgegangen ist. Nancy (und natürlich alle anderen) haben gekämpft. Sie hat sinnlose Morde mitangesehen, Menschen verloren, die ihr ans Herz gewachsen waren und musste selbst Menschen töten. Sie war in gewissem Sinne erfolgreich, wobei es in Anbetracht der Situation wohl nichts ist, womit man herumprahlen würde. So, wie sie im Buch dargestellt wird, würde ich sagen: sie hat getan was nötig war.

Fazit?
„Die Spionin“ ist ein spannender Roman, der den Leser von der ersten bis zur letzten Seite fesselt. Man spürt regelrecht, in welche Gefahr Nancy sich jedes Mal begibt und hofft jedes Mal, dass sie unbeschadet bleibt (obwohl man es ja lange Zeit weiß, denn ohne die Hauptperson wäre das Buch ja zu Ende). Außerdem wurde ich durch dieses Buch, das auf der wahren GEschichte der Nancy Wake beruht, wieder auf einen Aspekt der Geschichte aufmerksam, mit dem ich mich bislang nicht intensiver beschäftigt habe.
Dieses Buch gehört definitiv zu meinen Lesehighlights des Jahres.

Sonst nochwas?
Für Interessierte gibt es im Anhang noch weitere Buchtipps zu Nancy Wake, außerdem wird dort erklärt, was im Buch nicht der Realität entspricht und aus welchen Gründen die Autoren es für die Geschichte angepasst haben.