Bye, bye Hollywood Hills…

… oder: Abschied von meiner Lieblingsband: Sunrise Avenue (Teil 1)

Im Zuge einer plötzlichen „einfach machen“-Attacke habe ich gerade ein Konzertticket gebucht.

Ein Konzert?
Ist nicht wirklich was besonders Aufregendes/Mutiges/Besonderes – oder?

Vielleicht nicht, aber es ist ein Konzert der Abschiedstour meiner derzeitigen Lieblingsband (ich habe ja auch erst 5 Tickets für diese Tour gekauft…) und was mein Gefühlsleben angeht kann man das wohl mit der ersten großen Liebe vergleichen. Man liebt heiß und innig und kann sich ums Verrecken nicht vorstellen, dass mal jemand anders diesen Platz einnehmen kann. Und zwar unabhängig davon, ob man tatsächlich zusammen ist oder den großen Schwarm anhimmelt (Er will mich nicht? Ich werde mich NIE in jemand anderen verlieben! Jaja, x potentielle „für immer“-Kandidaten später schüttelt man über sich selbst den Kopf. Realität – kannste dir nicht ausdenken.)

Ich habe die letzten 16 (!!!) Jahre mit dieser Band und der Musik verbracht – faktisch ist das die längste Beziehung, die ich je hatte – und ich hätte mir bis zu diesem schicksalhaften Dezembertag 2019, an dem Sunrise Avenue in Helsinki vor die Presse traten und Samu Haber das Ende der Band verkündete, nicht vorstellen können, dass es irgendwann vorbei sein würde. Ich meine, natürlich weiß ich, dass Bands irgendwann aufhören (wenn sie nicht die Rolling Stones oder die Scorpions sind) aber für Sunrise Avenue und speziell Samu Haber lief es von außen betrachtet super, doch obwohl es heißt „wenn es am Schönsten ist, soll man gehen“ spürt man doch in der Regel vor dem Ende schon einen gewissen Verfall. Mittlerweile hat Samu Haber seine Biografie auf den Markt geworfen und damit mir (und vielen anderen) die Möglichkeit gegeben, das alles aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Frag dich mal wie das ist, wenn du den Traum hast, dein Geld als Musiker zu verdienen. Wenn dieser Traum dann wahr wird und diese Nummer gefühlt von Jahr zu Jahr größer wird bis sie schließlich Sphären erreicht, an die du im Traum nicht gedacht hast. Und wie es ist, wenn alle auf dich gucken, darauf warten, dass du den nächsten Superhit ablieferst, das nächste Album, die nächste Tour, die Fernsehauftritte, dieser ganze Rattenschwanz an Verpflichtungen, die das nach sich zieht. Und ehe du dich versiehst, ziehen sie von allen Seiten an dir und du kannst niemandem mehr gerecht werden. Am wenigsten dir selbst.

Im ersten Moment denkt man „das ist jetzt aber Jammern auf sehr hohem Niveau“ aber selbst ich in meinem Durchschnittsleben habe so oft keinen Bock mehr auf das Leben, das ich führe, wenn ständig irgendjemand etwas von mir erwartet und kein Raum mehr für mich bleibt.

Aber zurück zum Thema.

Als im Nachsatz zum Band-Aus bekannt gegeben wurde, dass es eine Abschiedstour gibt war sofort klar, dass ich alles mitnehme was geht (also halbwegs erreichbar ist).
Hamburg, Hannover, Köln, Düsseldorf.
Zack – gebucht.

Zusatzkonzert in Hamburg.
Zack – gebucht.

Helsinki? Ticket, Flug, Hotel… – sei vernünftig –
Nicht gebucht.
Aber hey noch 5x die Lieblingsband live sehen, das wird super.

Und dann kam Corona.
Mein erster Gedanke: alles umsonst. Sie werden die Tour absagen. Sie wollen ja schließlich aufhören.
Aber die Band gibt ihren Fans ein Versprechen: Wir ziehen es durch – wann immer das sein wird.

Nach diversen Verlegungen geht es 2022 endlich los.

Internet: Es gibt noch Tickets für Helsinki.
Herz: Kann ich mir das leisten?
Dein ganzes Geld geht dabei drauf, aber: Ja, könntest du.
Kopf: Sei vernünftig.

Nicht gebucht.

(Ich bereue es gerade – aber sowas von…)

Das erste Konzert in Deutschland in Hannover. ZAG Arena.
Unbeschreiblich.
Oder – um es mit den Worten von Samu Haber zu sagen: „Ich habe Hühnerhaut.“

Da sitzen/ stehen wir – alle 11.000 in der ausverkauften Halle – voller Vorfreude, Dankbarkeit und Abschiedsschmerz und als die Band die Bühne betritt und die ersten Takte von „Thank you for everything“ ertönen, geht ein Jubel durch die Halle, den ich vorher noch auf keinem Konzert von ihnen erlebt habe – und das hier ist mein 10. Wir schauen auf die Bühne, sehen Samu Haber im Original auf der Bühne und gleichzeitig auf der großen Leinwand hinter der Band. Wir sehen wie er da steht, den Jubel hört und dabei ein Lächeln im Gesicht hat aus dem hervorgeht, dass es ihm genauso geht wie uns. Dass wir jetzt, ganz langsam, alle begreifen, dass hier etwas großes zu Ende geht.

„Es ist spürbar, neben der normalen Konzerteuphorie und der puren Freude, alte Klassiker gemeinsam live zu erleben, zieht sich eine Trauer durchs Publikum.“

Redaktionsnetzwerk Deutschland, 15.8.2022

Zwei Tage später. Hamburg, Barclays Arena.
Ein ganz anderes Gefühl. Die Halle ist voll, aber es herrscht nicht dieselbe Energie wie in Hannover. Es ist irgendwie ruhiger (obwohl es immer noch echt laut ist) und ein bisschen steif. Aber ich bin ja nicht wegen des Publikums da, sondern wegen der Band und deren Auftritt genieße ich.

Den Tag danach. Nochmal Hamburg.
Hannover war geil, aber das Zusatzkonzert in Hamburg… Wow. Während man gestern auch im Sitzen noch auf die Bühne sehen konnte, hielt es heute schon beim ersten Song so gut wie niemanden mehr auf dem Stuhl. Singen, tanzen, hüpfen – geht alles auch auf den Rängen wie man heute sehen konnte. Heiß, heißer, Hamburg.

Heute…
… sitze ich zu Hause und vermisse die große Halle. Ich leide an Konzert-Hangover. Aber hey, nächste Woche in Köln.

Hm…

Ist eigentlich noch irgendwo ein Konzert am Wochenende im August?
Gibts dafür noch Tickets?
Bin ich bescheuert genug, mich mit meinem 9 Euro Ticket dafür gefühlt tagelang in Zügen aufzuhalten?
Ja. JA. JA!

Ist es unvernünftig dafür jetzt Geld auszugeben? In Zeiten von steigenden Lebensmittelpreisen, explodierenden Gaspreisen und einem Job weniger?
Definitiv.

Aber das Leben hat mich eine Sache wieder und wieder gelehrt: Wir bereuen immer die Dinge am meisten, die wir NICHT getan haben.
Siehe weiter oben im Text.

Zack – gebucht.

Mann: „Du hast doch einen an der Marmel.“
Ja. Ist mir aber egal. Kann ich ganz gut mit leben.

Vater: „Verstehen muss ich das aber nicht, oder?“
Nö. Du musst mich nur zum Bahnhof bringen.