Halbzeit

Halbzeit

Heute ist mein Geburtstag. Der 45.

Wenn ich nach vorne schaue und an die nächsten 45 Jahre denke, finde ich, dass das eine krass lange Zeit ist. Werfe ich allerdings einen Blick zurück ist alles was war gefühlt noch gar nicht so lange her.

Ich wohne hier doch erst seit kurzem (15 Jahre), ich bin doch gerade erst von Zuhause ausgezogen (20 Jahre), mein Neffe ist doch „gerade erst“ geboren (fast 12 Jahre), ist doch noch gar nicht so lange her, dass ich aus der Schule raus bin (fast 25 Jahre)… und damit könnte ich noch endlos weitermachen. Mein gefühltes Alter schwankt zwischen 28 und 35, aber 45? Never ever.

Kurz vor meinem 30 Geburtstag dachte ich noch, mit 30 sei mein Leben „vorbei“ und es käme nur noch langweiliger Erwachsenenkram. Arbeiten, Steuererklärung, Haushalt. Ich wünschte, ich hätte da schon manches gewusst, was ich heute weiß. Aber so funktioniert das Leben nun einmal nicht. Man muss sein Leben leben, eigene Erfahrungen machen und Lehren daraus ziehen. Dann kann man höchstens noch versuchen, jüngere Menschen mit klugen Ratschlägen (die man allerdings nicht ungefragt verteilen sollte, wir wissen doch, wie unpassend sowas ist) vor unseren Fehlern zu bewahren.

Mit 40 Jahren waren mir plötzlich ganz viele Dinge egal, über die ich mir früher Gedanken gemacht habe. Zum Beispiel, was andere Leute über mich denken wenn ich dieses oder jenes tue – oder eben nicht tue. Es schien als hätte ich plötzlich kapiert, dass ich mich so langsam mal um mich selbst kümmern sollte und nicht darum, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Das habe ich schließlich lange genug versucht. In der Regel vergeblich, denn das, was „die anderen“ so erwarten, ist halt nicht mein Weg. Noch nicht mal dann, wenn ich es gerne so gehabt hätte. Ich hatte auch immer die Vorstellung eines eher traditionellen Lebensweges – Heiraten, Haus, Kinder usw – aber, es wird euch nicht überraschen, so läuft das Leben nun einmal nicht. Man kann sich sein Leben in den schönsten Farben ausmalen und trotzdem wird man hin und wieder ziemlich derbe auf die Schnauze fallen. Die Frage ist halt nur, wie man damit umgeht.

Ich habe nicht mitgezählt wie oft ich meine Träume/Pläne begraben musste, wie oft ich mir heulend die Bettdecke über den Kopf ziehen und erst wieder rauskommen wollte, wenn endlich alles gut wird. Zum Glück habe ich das nicht getan, denn es wäre vermutlich eine deprimierend große Zahl und womöglich würde ich immer noch unter der Decke liegen. Aber eine meiner Stärken ist, dass ich nicht lange hadere, wenn etwas nicht so gelaufen ist, wie ich es mir vorgestellt hatte. Ich falle auf die Nase, bin ein bis drei Tage wahlweise stinksauer oder todunglücklich, dann stürze ich mich mit hochgekrempelten Ärmeln ins Abenteuer. Das Leben bietet so viele Möglichkeiten, da bleibt keine Zeit, ewig den Kopf in den Sand zu stecken.

Setzt ihr euch manchmal hin und phantasiert herum was passiert wäre, wenn zum Zeitpunkt X alles so gelaufen wäre, wie ihr es euch damals vorgestellt habt? Ich schon. In der Regel enden diese Tagträume mit großer Erleichterung. Ich meine, wenn ich mir vorstelle ich wäre immer noch mit meinem ersten Freund zusammen… Ich würde als Polizistengattin in der Voreifel leben und… Leute, rettet mich aus diesem Albtraum.
In einem der selteneren Fälle, die mir selig lächelnd durch trübe Tage helfen, bin ich seit etwa 15 Jahren verheiratet, habe 4 Stiefkinder und mittlerweile 7 (Stief-)Enkel. Ich wäre mit Abstand die coolste Oma im ganzen Kindergarten/der Grundschule. Okay, mein Mann würde dieses Jahr seinen 60. feiern, aber irgendwas ist ja immer und für das Alter hat er sich echt gut gehalten.

Okay, ich bin jetzt also 45. Optimistisch genug davon auszugehen, dass ich mindestens 90 werde, daher auch „Halbzeit“. Und ehrlich gesagt muss ich auch mindestens 90 werden, ich habe ja noch so viel vor…

Aber bevor ich mich voller Hoffnung in die Zukunft stürze, ein kleiner Rückblick, auf die letzten 45 Jahre:

5 verschiedene Wohnorte
15 Jahre Vollzeit-Schulbesuche (13 bis zum „nicht“-Abi, 2 für die Fortbildung zur Betriebswirtin Agrarwirtschaft)
9 verschiedene Jobs (Küchenfee, Inventurhilfe, Nachhilfelehrerin, Landwirtin, Putzfrau, Tagesmutter, Verkäuferin im Buchhandel, Servicekraft, Personalwesen)
10 bereiste Länder (Tschechische Republik, Schweiz, Italien, Spanien, Niederlande, Frankreich, Dänemark, Großbritannien, Belgien, Liechtenstein)
1 „sportliche“ Höchstleistung (3 Halbmarathons)
17 Konzerte von ein und derselben Band (Sunrise Avenue) plus unzählige andere (u.a. Phil Collins, Die Toten Hosen, Madsen, Fury in the Slaughterhouse)
mindestens 14 Jahre beim Frühstückstreffen in Bremen
über 1500 Bücher quer durch alle Genres gelesen

Plus: einige dieser „bad ideas make the best memories“- Momente und viele, viele kleine Glückse.

Happy Birthday to me – auf die nächsten 45 Jahre.

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